Deutsche Unternehmen sind zu langsam, zu behäbig, zu selbstzufrieden, um sich in der gebotenen Eile mit dem Thema der Digitalen Transformation auseinander zu setzen. Das Problem ist eines, das zunächst gar nicht danach klingt: Die Firmen haben ja in der Vergangenheit einiges richtig gemacht, sonst wäre Deutschland als Wirtschaftsnation nicht so erfolgreich. Genau da liegt die Gefahr, denn der Erfolg macht träge. Sehr erfolgreiche Mittelständler sagen zu mir zum Beispiel: Was wollen Sie? Wir haben doch einen 3D-Drucker. Wir haben eine Facebook-Seite.
Sie verstehen nicht, dass es um die komplette Veränderung der Kultur im Unternehmen geht, um den Abbau von Hierarchien und den Aufbau von Netzwerkstrukturen, um das Schaffen autonom arbeitender Teams und das Delegieren von Verantwortung. Die Technik ist das Leichteste bei der Digitalen Transformation. Was wir brauchen ist Mut: Mut, das eigene, bislang durchaus erfolgreiche, Geschäftsmodell infrage zu stellen – bevor es jemand anderer tut!
Was wollen Sie? Wir haben doch einen 3D-Drucker. Wir haben eine Facebook-Seite.
First Mover oder Smart Follower
Diese Haltung muss man zum Beispiel auch bei der Entscheidung zeigen, ob man lieber der First Mover oder der Smarte Follower sein möchte. Mein Freund Paul Saffo vom Institute for the Future in Palo Alto sagt immer: Die zweite Maus bekommt den Käse. Ich würde einem etablierten Unternehmen tatsächlich davon abraten, allzu forsch voran zu gehen. Aber es gibt ja auch Modelle, die den Vorteil beider Strategien vereinen. Ich denke an kleine, autonome Geschäftseinheiten, womöglich sogar Ausgründungen oder Startups, die von eigenen Leuten gegründet, aber vom Unternehmen finanziert werden. Im Erfolgsfall kann man sie ja dann wieder an Bord holen – oder ganz umsteigen.
Für Unternehmen mit lang gelernten und festen Strukturen ist das nicht einfach. Viele Firmen haben unbewusste Muster für Lösungsstrategien und Entscheidungsprozesse ausgeprägt, die Teil der Unternehmens-DNA geworden sind. Das kann einerseits nützlich sein: man muss das Rad nicht jedes Mal neu erfinden. Sie können aber auch Neuentwicklungen blockieren. Querdenker und Innovatoren werden in solchen Strukturen als Störfaktor empfunden und meistens ausgebremst.
Die zweite Maus bekommt den Käse.
Führungsebene bremst digitale Transformation
Ein anderes Problem ist die Führung. Leider sitzen die Bremser der Digitalisierung meistens vorne bzw. oben, nämlich in der Führungsebene. Drei Viertel aller deutschen Chefs verlangen von ihren Mitarbeitern unbedingte Präsenzpflicht im Büro, wie eine Studie des IT-Branchenverbands Bitkom im Frühjahr 2015 ergab. Sie trauen ihren Leuten nicht und glauben, dass sie nur unter Aufsicht produktiv arbeiten können. Solche Chefs müssen lernen loszulassen! Das verlangt aber auch die Fähigkeit, Teams aufzubauen und sie ergebnisorientiert zu führen. Wenn alle im Team genau wissen, was bis wann geschafft werden muss und wenn sie gelernt haben, sich autonom selbst zu organisieren, dann kann sich der Chef auch mal zurücklehnen.
Damit Unternehmen das schaffen, müssen Impulse von außen kommen. Deutsche Unternehmer arbeiten allerdings ungern mit externen freien Mitarbeitern, weil sie angeblich schwer zu kontrollieren und die Ergebnisse kompliziert zu überprüfen sind. Außerdem, so die Legende, bringen solche Leute den ganzen Laden durcheinander, das geht gleich gar nicht! Es ist schade, dass sich solche Mythen halten, denn man vergibt sich damit viele Chancen, frische Ideen auszuprobieren und neue Perspektiven zu testen.
Highspeed-Internet ist essenziell
Gewiss, wir reden hier über einen Kulturwandel, der dauert. Aber der Druck ist immens: In anderen Ländern sitzen auch sehr talentierte junge Menschen und die wollen der deutschen Industrie die Butter vom Brot nehmen. Zum Teil haben sie bessere Vorbedingungen, wenn es zum Beispiel um die Übertragungstechnik geht. Im Gegensatz zu Deutschland gibt es in Staaten wie Schweden, Norwegen, Russland oder Südkorea, aber auch in Litauen, Slovenien oder Kasachstan bereits superschnelle Glasfasernetze, während bei uns die Telekom versucht, noch ein paar Megabits mehr durch die alten Kupferleitungen zu pressen. In Sachen Breitbandausbau zählt Deutschland weltweit zu den Schlusslichtern.
Und plötzlich entsteht hier, wie so oft in innovativen Feldern, Eigeninitiative: Immer mehr Unternehmen gehen dazu über, sich selbst zu helfen. In Nordrhein-Westfalen werden heute schon die ersten Breitband-Genossenschaften gegründet. Firmen, die in Industrie- oder Gewerbegebieten ohne ausreichende Netzanbindung sitzen, tun sich zusammen und holen sich einen Provider ins Haus, der ihnen die nötigen Datenraten bietet, um Schritt zu halten mit der Konkurrenz im Ausland. Auch das erfordert, wenn nicht Mut, so doch einen visionären Blick.
Über den Think Tank „Digitale Transformation“
Die Digitalisierung gleicht einem mächtigen Imperativ, das eigene unternehmerische Denken und Handeln zu verändern. Aber, das ist leichter gesagt als getan. Wo liegen die Herausforderungen für Unternehmer und Manager? Gibt es so etwas wie Keimzellen in einem Unternehmen, in denen der digitale Wandel besonders gut und wirkungsvoll beginnen kann? Welche Rahmenbedingungen müssen in Unternehmen, aber auch zum Beispiel von staatlicher oder gesellschaftlicher Seite dafür geschaffen werden? Was sollten Mitarbeiter können – und wer ist überhaupt noch in der Lage, in einem Unternehmen, das sich auf vielen Ebenen digitalisiert, mitzuhalten?
In diesem Beitrag, der fortwährend aktualisiert wird, suchen wir Antworten auf diese und viele andere Fragen. Zu Wort kommen Digitalisierungs-Experten aus verschiedenen Wissenschaftsfeldern wie der Betriebswirtschaft, dem Management, der Zukunftsforschung oder der IT, zudem Entrepreneure und Praktiker aus großen Unternehmen, die selbige führen, in ihnen für das Personal oder die Prozesse verantwortlich sind. Und schließlich auch Denker, die sich die Kernpunkte der Digitalisierung von außen anschauen.
Der Artikel setzt nicht auf Vollständigkeit, sondern will Platz für ganz unterschiedliche Meinungen bieten. Er soll Raum zum Nachdenken bieten, provozieren, vielleicht Widerrede auslösen. Ein Think Tank, dem man beim Denken gewissermaßen zusehen kann.
Bildcredits: istock/peopleImages, istock/vm