Ohne schlaue Bürger gibt es keine schlauen Städte, fasst es Max Schwitalla recht einfach, aber prägnant zusammen. Der Gründer des „Studio Schwitalla“, das an der Schnittstelle von Architektur, urbaner Mobilität und Stadtgestaltung arbeitet, plädiert für mehr Teilhabe, für die Fokussierung auf Quartiere und für radikal neue Verkehrskonzepte, wenn es um die Stadt der Zukunft geht.
„Smart City“ ist ein Buzzword. Meist bedeutet es, dass ein Technologiekonzern den urbanen Raum erobern will. Dabei geht es bei dem Thema um viel mehr als nur Technologie. Entscheidend für die Stadt der Zukunft ist der Smart Citizen: Alle derzeit diskutierten Konzepte können nur funktionieren, wenn sie sich an Bedürfnissen der Menschen orientieren – wenn sie mit dem mündigen Bürger starten. Planung von oben (top-down) allein reicht nicht, die Menschen müssen mitbestimmen dürfen (bottom-up). Wir haben zum Beispiel gerade bei einem Flüchtlingsheim darüber nachgedacht, die Fassade mit Lehm zu gestalten. Das wäre low-tech, dafür aber nachhaltig – und die Bewohner hätten mitbauen können.
Außerdem können sie mitentscheiden. Barcelona zum Beispiel zeigt, wie Bürgerbeteiligung in Zukunft funktioniert. Über eine Onlineplattform (Decidim ) können die Einwohner neue Ideen und Regeln vorschlagen, die die Verwaltung dann aufgreift. 70 Prozent der Punkte auf der Agenda der Stadtverwaltung stammen von den Bürgern. Mehr Teilhabe und Mitspracherechte der Bürger bei dem Aufbau einer Smart City bedingen natürlich eine gewisse Langsamkeit, doch das müssen wir in Kauf nehmen. Denn bestimmt alles ein zentraler Planer, wird die Stadt zwar hocheffizient, aber eben nicht automatisch lebenswert. Die „Schlauheit“ muss dem Menschen nutzen, daran sollte sie gemessen werden. Außerdem sollte der Fokus auf dem Quartier liegen, nicht auf der gesamten Stadt. Berlin liefert hier ein tolles Beispiel: Die Stadt ist polyzentrisch organisiert und bietet Platz für unterschiedliche gesellschaftliche Gruppierungen. Solche netzwerkartigen Strukturen sollten das Ziel sein, nicht der Großentwurf vom Reißbrett.
„Technologien für die Städte der Zukunft sind vorhanden.“
Viele Ideen, die gerade unter der Überschrift Smart City diskutiert werden, kursieren schon seit Jahrzehnten. Aber jetzt sind die Technologien vorhanden, um sie zu verwirklichen. Über eine stärkere Nutzungsdurchmischung – Wohnen und Arbeiten nebeneinander – zum Beispiel haben Stadtplaner schon in den 1980er Jahren gesprochen. Dank neuer Technologien ist selbst eine kleinindustrielle Produktion heute sowohl leiser als auch sauberer und lässt sich wirklich in Wohnquartiere integrieren. Außerdem können Agrarwirtschaft („Urban Farming “) und Energieerzeugung (Solar-/Windkraftwerke) in die Städte zurückkehren. Ein Vorteil der stärkeren Durchmischung ist, dass die Wege kürzer werden und die Bürger zu Fuß oder mit dem E-Scooter zur Arbeit kommen können. Wir haben gerade an einem Projekt zur Quartiersentwicklung mitgewirkt, bei dem es unter anderem darum ging, eine multifunktional nutzbare Sockelzone zu gestalten. Die Deckenhöhe im Erdgeschoss wurde so gewählt, dass sowohl eine Maisonette-Wohnung untergebracht werden kann als auch ein Gewerbe.
Für den Individualverkehr, wie wir ihn heute kennen, ist in der Stadt der Zukunft kein Platz mehr. Heute sitzt jeder, umgeben von zwei Tonnen Stahl, im Auto und keiner weiß, wohin der andere will – dieses Modell ist gnadenlos veraltet und völlig unökonomisch. Ein erster logischer Schritt in Richtung Smart City wäre, eine City-Maut für Privat-Pkw einzuführen und damit den ÖPNV zu subventionieren – oder ihn gleich kostenlos anzubieten.
Dank neuer Technologien können Agrarwirtschaft und Energieerzeugung wieder in den urbanen Raum zurückkehren (Bild: iStock/Boogich)
Die Menschen nutzen auch in Zukunft weiter individuelle Mobilitätseinheiten, doch diese werden von einer zentralen Systemsteuerung zu Schwärmen zusammengestellt. Für Audi haben wir dazu eine Vision entwickelt: das sogenannte Flywheel. Dieser elektrisch angetriebene Einsitzer kann zu Zügen zusammengekoppelt werden, die sich dann durch U-Bahn-Schächte bewegen. Zu Beginn der Fahrt koppelt der Algorithmus Menschen zusammen, die das gleiche Ziel oder gleiche Interessen haben, zum Beispiel den Besuch eines Konzerts. Am Ziel angekommen, löst sich das Flywheel wieder aus dem Zug und die Menschen gelangen individuell an den gewünschten Ort. Ein wichtiger Nebenaspekt bei diesem Projekt war, dass mehr soziale Interaktion als beim normalen Autofahren stattfindet. Wenn mehrere Flywheels zu einem Zug zusammengeschlossen werden, können sich die Passagiere unterwegs begegnen. Das lässt auch völlig neue Szenarien der Mobilitätsnutzung zu, möglich wäre zum Beispiel ein „Tinder on the go“, also die Kopplung von Dating-Apps mit Mobilitätsangeboten.
Die Stadt der Zukunft wird über eine völlig neue Verkehrsinfrastruktur verfügen
Das eine Fortbewegungsmittel wird es in Zukunft nicht mehr geben. In der Smart City nutzen wir diverse Transportmittel, je nach Wetterlage oder abhängig davon, was wir zu transportieren haben. So wird das eine eigene Fahrzeug, mit dem man sowohl zur Arbeit als auch 1.000 Kilometer in den Urlaub fährt, aussterben. Einige Eigenschaften haben die Fortbewegungsmittel von morgen allerdings gemeinsam: Sie sind sicher kleiner als heutige Autos, CO2 -neutral angetrieben und leise. Man wird sie nicht besitzen, sondern teilen, und sie fahren autonom, sodass niemand mehr parken muss. Hier sind viele Konzepte möglich. Wir arbeiten zum Beispiel mit einem Unternehmen, das elektrisch angetriebene Gokarts herstellt.
Die Smart City wird über eine völlig andere Verkehrsinfrastruktur verfügen. Bisher wurden Städte für Autos geplant, nicht für Menschen. Das kehrt sich um. In Zukunft fährt hoffentlich kein Auto mehr in der Sonne. Auf Flächen mit direktem Tageslicht sollten Kinder spielen oder alte Leute flanieren. Der Verkehr wird in Zukunft unter die Erde verlegt. Die nötigen Tunnel zu bauen, ist zwar kostspielig, aber langfristig die beste Lösung. Wobei die schon bestehende Infrastruktur durchaus noch intelligenter genutzt werden könnte. In Berlin etwa kommt die U-Bahn alle fünf Minuten, das heißt, in den viereinhalb Minuten dazwischen ist der teuer gebaute Tunnel leer. Warum lässt man in dieser Zeit dort keine Drohnen verkehren und Pakete ausliefern?
Die Stadt wird mit einem Layer aus Sensoren und Algorithmen überzogen.
Mit den neuen Fortbewegungsmitteln entstehen neue architektonische und städtebauliche Möglichkeiten, an die wir heute noch gar nicht denken. Wir haben zum Beispiel unlängst ein Wohnquartier entworfen, das für Bewohner mit E-Bikes konzipiert ist . Alle Etagen sind über große Rampen miteinander verbunden, sodass die Bewohner mit ihren Rädern vom Erdgeschoss bis in die obersten Etagen mit 20 km/h fahren können. Die Fahrradwege sind in den Kurven leicht angeschrägt, sodass die Fahrer nicht abbremsen müssen.
Natürlich hat die Smart City eine starke digitale Komponente. Die Stadt wird mit einem Layer aus Sensoren und Algorithmen überzogen. Dafür braucht es Experimente wie das von Google in Toronto . Dieses Projekt ist viel kritisiert worden, ich finde es jedoch richtig und wichtig, dass solche Dinge ausprobiert werden. Grundsätzlich sollten solche Projekte als Public-Private-Partnership umgesetzt werden, wobei die Stadtverwaltung eine führende Position einnimmt. Sie verwaltet die Daten der Bürger zentral und leitet sie anonymisiert an die verschiedenen Unternehmen und Dienstleister weiter. Hier sollte man mehr Mut zeigen und auch mit lokalen Start-ups kooperieren – nicht nur mit den bekannten großen Playern.
Worauf es bei der Stadt der Zukunft ankommt
Mischung aus Top-down- und Bottom-up-Planung
Fokus auf den Smart Citizen, den mündigen Bürger
Bürgerbeteiligung über Onlineplattformen
Kleinteilige Funktionsmischung, dadurch kurze Wege
Mikro-Mobilität, gesteuert von einer zentralen Intelligenz
Verlagerung des Verkehrs unter die Erde
Anpassung der Architektur an neue Mobilitätskonzepte (Beispiel: für E-Bike optimiertes Wohnen)
Bild Sidebar: Valeria Petkova
Beitragsbild: iStock/Orbon Alija