Christian Sallach ist Chief Digital Officer und Chief Marketing Officer beim Hersteller von Verbindungs-, Interface- und Automatisierungstechnik WAGO in Minden. Digitale Transformation ist für ihn ein Marketing-Thema. Denn: Wer sich in technischen Fragen verrennt, verliert den Blick für die Kundenbedürfnisse – und damit den Anschluss an die wirklich wichtige Transformation.
Wenn ich mit Topmanagern bei Kunden, Wettbewerbern und Geschäftspartnern in unserer Branche spreche, höre ich zurzeit oft den Satz: „Wir digitalisieren ja jetzt gerade das Unternehmen“. Das ist eine Formulierung, die mich meist sehr skeptisch macht. Denn dahinter scheint die Vorstellung zu stehen, dass da ein Wettbewerb im Gange ist: Wer hat das am schnellsten komplett durchdigitalisierte Unternehmen? Aber was soll das genau sein, dieses digitalisierte Unternehmen? Und welchen Mehrwert hat es, ein „digitales“ Unternehmen zu sein? Was hat man dadurch gewonnen?
In unserer Branche, die von technologieorientierten Unternehmen mit eigener Produktion geprägt ist, die vor allem im B-to-B-Geschäft tätig sind, steckt hinter diesem Digitalisierungs-Mantra vor allem das Thema Industrie 4.0 samt der technischen Fragen, die damit zusammenhängen. Wir neigen in unserem Sektor nun einmal dazu, alle Herausforderungen, Veränderungen und Lösungen erst einmal vom Produkt und vom technisch Möglichen her zu denken.
Wenn man nachfragt, was diese Digitalisierungsprojekte bedeuten, machen daher gerade eigentlich alle weitgehend das Gleiche: Prozesse automatisieren, effizienter werden, Produktionsdaten besser und klüger analysieren und vernetzen, neue Technologien wie Künstliche Intelligenz und IoT-Anwendungen testen und sinnvoll integrieren. Das ist auch notwendig, um zukunfts- und wettbewerbsfähig zu bleiben. Technologien entwickeln sich derzeit aufgrund steigender Rechenleistung exponentiell – da gilt es, Schritt zu halten.
Digitalisierungsprojekte: Weniger Technik, mehr Kommunikation
In Branchen wie unserer verliert man sich aber oft zu sehr in technischen Details, wenn über Digitalisierung gesprochen wird. Dabei gerät die Frage, welche Angebote echten Mehrwert für den Kunden bringen, manchmal in den Hintergrund. Und viele arbeiten zu lange an einer perfekten Lösung, statt schnell etwas zu verändern. Ein Beispiel: Im Gespräch mit einem Kunden haben wir ihn gefragt, was wir seiner Meinung nach in unserem Online-Shop verbessern sollten. Der Kunde sagte: Eine Verfügbarkeitsabfrage wäre prima – er würde gerne jederzeit sehen können, welche Produkte wann genau lieferbar sind. Wir wunderten uns, denn der Kunde bestellt bei uns regelmäßig nur einmal im Monat dieselben Produkte, immer in ähnlicher Menge, immer mit ähnlichen Lieferzeiten. Eine ständige Verfügbarkeitsanzeige in Echtzeit würde ihm nicht wirklich einen Mehrwert bringen, da er eigentlich nie kurzfristig außer der Reihe etwas bestellt. Dachten wir. Als wir ihn nach den Gründen fragten, sagte der Kunde: Weil das bei Amazon auch geht und er diese Transparenz einfach super findet. Das ist kein Einzelfall, sondern etwas, das wir in Kundenumfragen als Trend erkennen.
Und das ist meiner Meinung nach ein Effekt, den viele im B-to-B-Bereich lange unterschätzt haben: Services und Angebote, die im privaten Bereich einfach sehr gut funktionieren, werden sehr schnell und ganz selbstverständlich als Standard angesehen. Sie verändern das Mindset unserer Kunden auch im geschäftlichen Bereich grundlegend. Hier gilt es, als Anbieter bisher bewährte Verkaufslogik und Erfahrungen in Frage zu stellen und sich auf das neue Kundenverhalten einzustellen.
Services und Angebote, die im privaten Bereich einfach sehr gut funktionieren, werden sehr schnell und ganz selbstverständlich als Standard angesehen.
Digitalisierung von Sales-Prozessen
Ein Online-Shop, der aussieht und funktioniert wie ein althergebrachter Produktkatalog aus der analogen Welt, ist schlicht und einfach nicht mehr zeitgemäß. Die Digitalisierung von Sales-Prozessen nimmt im B-to-B-Handel erst jetzt richtig Fahrt auf – da ist man in anderen Branchen schon viel weiter, wenn man sich etwa die Angebote von Onlinehändlern wie Amazon oder Zalando im B-to-C-Bereich anschaut. Wir müssen Inhalte für Geschäftskunden genauso „snackable“ machen, wie das ein Anbieter wie Amazon tut. Wir müssen komplexe Informationen über unsere Produkte ebenso prägnant erklären, sie genauso mit konkreten Angeboten, nutzerfreundlichen Funktionen und Lösungen verknüpfen und sie ähnlich intelligent aufbereiten. Keiner hat heute mehr Lust, sich dicke, kleingedruckte Produktbeschreibungen durchzulesen.
Das nächste Level der Digitalisierung im B-to-B-Geschäft wird meiner Meinung nach sein, dass Kunden immer weniger bereit sein werden, nach Informationen, passenden Produkten und Lösungen überhaupt selbst aktiv zu suchen. In Zukunft erwarten Kunden vielmehr, dass sie nur noch ihr Problem beschreiben und dann müssen wir ihnen aktiv sofort ein passendes Angebot machen. Dazu wollen wir in Zukunft auch Sprachassistenten und digitale Chat-Bots einsetzen sowie digitale Beratungs- und Self-Service-Angebote schaffen. Wir sind überzeugt: Wer sich künftig noch von Wettbewerbern absetzen will, muss neben den klassischen Produktinnovationen vor allem ran an solche Themen.
Technologien entwickeln sich derzeit aufgrund steigender Rechenleistung exponentiell – da gilt es, Schritt zu halten.
Digitale Welt mit zwei Geschwindigkeiten
Bei WAGO haben wir vor zwei Jahren damit angefangen – als wir beschlossen haben, unsere Digitalisierungsprojekte zu bündeln und eine ganzheitliche Strategie für die digitale Transformation zu entwerfen. Unser Fokus bei der Digitalisierung ist die Kundenschnittstelle. Wir erleben dabei, dass wir uns mittelfristig auf eine Welt mit zwei parallelen Geschwindigkeits-Levels einstellen müssen. Da sind die einen Kunden, die den Wandel langsam angehen und durchaus gegenüber manchen digitalen Services und Veränderungen skeptisch sind. Und da sind die Kunden, die auf diese neuen Themen sehr schnell anspringen und die Erwartungshaltung haben, dass wir als Dienstleister mithalten und mitreden können. Unser Anspruch ist es, dass wir beide Kundengruppen im Transformationsprozess unterstützen wollen. Und das jeweils mit einer Ansprache und mit Dienstleistungen, die zu den tatsächlichen Bedürfnissen der Kunden passen, nicht zu irgendwelchen allgemeinen Trends und Hypes.
Digitalisierung ist deshalb für uns ebenso ein Marketingthema wie ein Technologiethema. Deshalb haben wir neben meiner Rolle als CMO zusätzlich die des CDO etabliert und ein Digital Transformation Office eingerichtet, das alle Unternehmensbereiche weltweit wie eine Art Inhouse-Beratung für Digitalisierungsprojekte unterstützt.
Das Digital-Transformation-Team sitzt direkt in unserer Zentrale in Minden. Wir haben uns bewusst dagegen entschieden, das Digitalisierungs-Team in einen externen Inkubator oder in ein „Digital-Lab“ in Berlin oder an einem anderen Hotspot anzusiedeln. Denn unser Hauptziel ist es, die digitale Transformation im Unternehmen selbst voranzutreiben und hier wirklich alle Mitarbeiter mitzunehmen. Das ist wichtig, denn: Wie wohl in jedem Unternehmen gibt es in so einer Veränderungssituation auch bei uns eine Gruppe von Skeptikern, aber auch Mitarbeiter, die sich überzeugen lassen und mitziehen, und begeisterungsfähige Pioniere. Das Transformationsteam ist nah dran und arbeitet daran, alle Gruppen einzubinden und zwischen den verschiedenen Perspektiven zu vermitteln. So merken wir schnell, wo es knirscht im Getriebe, während sich laufende Prozesse ändern.
Unsere Strategie ist natürlich auch ein Experiment. Ein Patentrezept für die Digitalisierung gibt es ja leider nicht. Oder: zum Glück gibt es das nicht. Jedes Unternehmen muss seinen eigenen Weg finden für die Veränderungen, die anstehen. Wir sehen darin vor allem große Chancen.
Bilder: WAGO