Digitale Technologien revolutionieren angeblich die Landwirtschaft. Wir haben Marion Meyer, Leiterin Business Development, und Jörg Migende aus dem Geschäftsbereich „Digital Farming“ (Digitale Landwirtschaft) des Agrarkonzerns BayWa gefragt, was an der These dran ist. Und was daraus folgt – für Landwirte und die BayWa.
Automatische Systeme füttern das Vieh, Traktoren bewegen sich mittels GPS exakt über Felder, Bauern lassen sich von Apps beim Managen ihres Betriebes unterstützen. Frau Meyer und Herr Migende, all das ist manchenorts Realität in der Landwirtschaft. Was aber bringt die Zukunft?
Meyer: Dank datengetriebener, messbarer und vor allem vernetzter Informationen eröffnen sich völlig neue Spielräume, mit den natürlichen Ressourcen gleichzeitig so intensiv wie nötig und so schonend wie möglich umzugehen. Wie schnell sich die Landwirte in den einzelnen Regionen der Erde auf die Digitalisierung und Smart Farming einlassen, müssen wir abwarten. Wir sind aber davon überzeugt, dass digitale Services die Arbeit in der Landwirtschaft heute nicht nur gewinnbringend unterstützen, sondern unseren Kunden eine Vielzahl neuer Möglichkeiten in der Betriebsführung bieten.
Wie kommen Sie darauf?
Migende: Nehmen Sie zum Beispiel die Digitalisierung in der Musikindustrie. Noch vor 20 Jahren hätten viele von uns den Wunsch nach digitaler Musikverwaltung nicht geäußert – heute kann sich kaum jemand vorstellen, diese praktischen Anwendungen nicht mehr zu haben. Das ist bei Smart Farming ähnlich – nur sind viele Anwendungen noch dabei sich zu entwickeln, und das Potenzial wird sicherlich in der kommenden Zeit für viele noch viel greifbarer.
Landwirte prüfen zu Recht genau, was wirklich Nutzen stiftet.
Aber bei Ihren Kunden geht es doch um ganz andere Bedürfnisse als Musik hören.
Meyer: Ja, natürlich. Es geht um die Verwaltung ihres Betriebes, die Kosten für Betriebsmittel, die Optimierung ihrer Ernte und Erträge. Aber schon die heute entwickelten Angebote zeigen, wie digitale Services unsere Kunden zum Beispiel bei der Ausbringung von Düngemittel unterstützen und helfen, deren Einsatz zeitlich und flächenspezifisch zu optimieren. Wir haben in eigenen Pilotversuchen auf landwirtschaftlichen Betrieben nachgewiesen, dass zum Beispiel das automatische Lenken und das teilflächenspezifische Aussäen einen positiven betriebswirtschaftlichen Effekt haben. Grundsätzlich muss aber jeder Betrieb für sich selbst analysieren, welche Investitionen und Neuerungen im Bereich Digitalisierung ihm wirklich nützen. Landwirte sollten sich in jedem Fall individuell beraten lassen.
Sehen Landwirte das ein? Sind sie tendenziell nicht eher zurückhaltend neuen Technologien gegenüber?
Meyer: Unsere Kunden sind neuen technologischen Entwicklungen unserer Erfahrung nach sehr aufgeschlossen: Schon heute sind zum Beispiel bereits mehr als 75 Prozent der in Deutschland verkauften Großtraktoren mit automatischen Lenksystemen ausgestattet, digitale Ackerschlagkarteien sind in der Fläche keine Seltenheit mehr, und nach einer Befragung im Auftrag des Digitalverbands Bitkom nutzen 20 Prozent aller Landwirtschaftsbetriebe bereits Industrie 4.0 -Anwendungen. Aber die Kunden prüfen zu Recht auch genau, was wirklich Nutzen stiftet – es geht ja nicht allein um mögliche Kosten für eine Technologie, sondern um den Aufwand für und den Erfolg des Betriebsertrags.
Dank der neuen Technologie stellt sich ein besseres Düngeverhältnis ein.
Geht es etwas konkreter: Wo und wie kommen digitale Technologien in Betrieben zum Einsatz?
Migende: Ein Beispiel-Projekt, an dem auch die BayWa beteiligt ist: Die Satellitentechnik versetzt uns heute in die Lage, Biomassekarten von Feldern zu einem Bruchteil der bisherigen Kosten herzustellen. Sie sind damit auch für kleinere Betriebe interessant. Die Karten liefern eine präzise Analyse davon, wie viele Feldfrüchte über einen bestimmten Zeitraum an welcher Stelle des Ackers wachsen. Über den Zuwachs dieser Biomasse lässt sich unter Hinzunahme weiterer Daten aus Boden- und Pflanzenproben ausrechnen, wie der zukünftige Nährstoffbedarf des Feldes sein wird.
Und dann?
Meyer: Aus den Informationen generiert die Software eine sogenannte Düngerapplikationskarte. Sie gibt dem Landwirt punktgenaue Informationen darüber, an welcher Stelle des Feldes welche Menge an Nährstoffen nötig ist, um einen besseren Ertrag zu erzielen. Sie erklärt aber auch, wo vielleicht in der Vergangenheit zu viel gedüngt wurde. So stellt sich dank der neuen Technologie ein neues, weitaus besseres Düngeverhältnis ein, das den Böden, dem Ertrag, dem Landwirt und auch der Umwelt zugutekommt. Das System liefert sogar die Einstellparameter für einen Schlepper und Düngerstreuer mit. In ein paar Jahren wird man auf diese Weise auch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln unter Zuhilfenahme von Feldrobotern optimieren können.
Warum geht das heute noch nicht?
Migende: Das Verfahren ist komplex. Es gilt, eine Vielzahl von Faktoren und Variablen – nicht zuletzt auch gesetzliche Bestimmungen – zu berücksichtigen. Noch befinden sich die entsprechenden Projekte im Versuchsstadium, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir auch in diesem Bereich hilfreiche und nützliche Anwendungen anbieten können.
Transparenz ist das entscheidende Stichwort.
Die cleversten Features im Bereich von Big Data nützen wenig, wenn die digitale Infrastruktur im ländlichen Raum nicht eine rasante Aufwertung erfährt, oder?
Meyer: Ja, unbedingt! Die Politik und Infrastrukturanbieter sind deshalb gefordert, überall schnelles, vor allem aber flächendeckendes, Internet zur Verfügung zu stellen – gerade auch im nicht-städtischen Umfeld. Vieles ist hier in Bewegung geraten, aber an der Realisierung dieser Forderung muss weiter mit Hochdruck gearbeitet werden. Amerika ist da ein guter Benchmark, wo mitten in den Kornfeldern Daten vom Anbaugerät live synchronisiert werden können.
Gleichzeitig steht das Schreckgespenst des gläsernen Landwirts im Raum, der zum Spielball von Konzernen wird, weil seine Betriebsdaten durchs Internet schwirren. Wie sehen Sie das?
Migende: Die offenen Fragen rund um das Sammeln, Auswerten und Nutzen von Daten im Agrarbereich nehmen wir sehr ernst. Wem gehören die Daten? Wer darf sie wofür nutzen? Wie garantiert man eine sichere Datenerhebung und Weitergabe? Die BayWa vertritt hier einen klaren Standpunkt: Die persönlichen und betrieblichen Daten eines Landwirts gehören ihm selbst. Er entscheidet frei, wem er seine Daten zu welchem Zweck gibt. Sie müssen gleichzeitig so wirkungsvoll wie möglich gegen Entwendung und Missbrauch geschützt werden. Hier bietet das deutsche Datenschutzgesetz zum Glück bereits große Klarheit. Einer der Gründe, warum wir als BayWa alle unsere Daten nur auf Servern in Deutschland oder anderen EU-Mitgliedsstaaten hosten.
Aber Landwirte werden Funktionen der digitalen Landwirtschaft doch nur dann einsetzen können, wenn sie einen Teil ihrer Daten zur Nutzung durch Dienstleister freigeben, nicht wahr?
Meyer: Das ist zutreffend. Aber das muss ja auch so sein, denn das Leistungsangebot umfasst insbesondere, aus vielen Rohdaten neue, vor allem aber nutzwertige und anwendungsfähige Informationen und Services zu generieren, die dann den Kunden wieder zur Verfügung stehen. Transparenz ist dabei das entscheidende Stichwort, gerade auch wenn es um die sogenannten prozessierten oder veredelten Daten geht. Landwirte müssen Klarheit darüber erhalten, wer ihre Daten wozu nutzt und was derjenige aus ihnen macht. Dabei spielt das Vertrauen der Kunden in den Anbieter eine große Rolle.
Welche weiteren Herausforderungen sehen Sie?
Migende: Smart-Farming-Lösungen müssen durch Kompatibilität den Maschinenparks der Kunden gerecht werden. Der Grundsatz der Herstellerunabhängigkeit ist heute und morgen wertvoll. Die Einbindung von digitalen Produkten und Services sollte stets den Maximen einer glaubwürdigen Beratung und eines fairen Wettbewerbs genügen. Einer Bevormundung des Landwirts darf die Digitalisierung keinen Vorschub leisten, denn der Landwirt besteht auf seiner Selbstständigkeit und Selbstverantwortung als Unternehmer – und das ist auch gut so.
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