Warum gehen manche Start-ups durch die Decke und andere den Bach runter? Eine klassische Gretchenfrage, die sehr schwierig zu beantworten ist. Dirk Freise und Martin Ostermayer – Webpioniere, Gründer und heute Geschäftsführer des Wagniskapitalfonds Shortcut Ventures – versuchen es trotzdem.
1. Erfolgsfaktor: Team, Team, Team
Viele Gründer-Teams halten sich für stark und super-motiviert. Schön und gut, reicht aber nicht. Ein gutes Team bedeutet: Alle Beteiligten müssen top zusammenpassen, wirklich alle – von den Gründern über die Praktikanten bis hin zu etwaigen Logistik- oder Service-Dienstleistern. Ein Unternehmen ist nur so gut wie seine schwächsten Mitarbeiter und Partner. Beim Recruiting raten wir deshalb: Lieber einen guten Bewerber ziehen lassen und weitersuchen, bis man einen sehr guten gefunden hat. Und wenn ein Mitarbeiter nicht passt – sei es aus fachlichen oder persönlichen Gründen –, dann muss man mutig sein und sich von ihm trennen. Klingt hart, ist aber letztlich für Unternehmen wie Mitarbeiter das Beste.
Auch unsere Ingenieure oder IT-Kollegen, denen man ja gerne mal nachsagt, sie seien maulfaul, durften bei uns nie einsilbige Nerds sein. Eine gewisse Freude an Kommunikation ist essentiell, denn sonst produziert man im Unternehmen Silowissen und das schadet. Gute Unternehmer und Mitarbeiter kommunizieren gerne und viel – und sie scheuen sich nicht, ihre Ideen vorzustellen und sich damit auch angreifbar zu machen.
Woran wir gute Gründer erkennen? Vor allem am Maß der Ehrlichkeit sich selbst und dem Businessplan gegenüber. Wenn ein Start-up auf dem Holzweg ist, dann beharren schlechte Teams zu lange auf ihrer nicht funktionierenden Idee. Wenn sich der Erfolg nicht einstellt, geben sie anderen die Schuld: den (dummen) Kunden, dem (unfairen) Markt, den (bösen) Wettbewerbern. Das alles ist meist nur vorgeschoben. Gute Teams denken um, sind erfinderisch, mobilisieren Kräfte und finden Lösungen. Wir kommen gleich noch darauf zurück.
Lieber einen guten Bewerber ziehen lassen und weitersuchen, bis man einen sehr guten gefunden hat.
2. Erfolgsfaktor: Kenne Deine Werte, pflege Deine Kultur
Jedes Unternehmen tickt anders. Es gibt die klassisch ingenieur- bzw. IT-lastigen, die in Qualität und Innovation vernarrt sind. Es gibt vertriebsorientierte oder die, die auf Kreativität setzen. Und es gibt zahllose Unternehmen, die quasi Mischformen aus diesen Faktoren sind. Entscheidend ist: Die Unternehmenskultur leitet sich aus der Strategie ab. Wenn meine Produkte zum Beispiel leading tech sein müssen, brauche ich eine Ingenieurskultur, die viel zeitintensive Forschung und Entwicklung ermöglicht und fördert. Wenn ich jedoch einen besonders starken Vertrieb benötige, muss ich für diesen entsprechende Freiräume und Möglichkeiten schaffen. Man kann eine Unternehmenskultur regelrecht designen, aber nur dann, wenn die Strategie und das Ziel des Unternehmens klar sind.
Die Gründer sind natürlich die großen Kulturträger einer Firma. Sie geben Ton und Takt vor, die Mitarbeiter orientieren sich an ihnen, im Guten wie im Schlechten. Als wir zum Beispiel Handy.de und Blau.de gründeten, einten uns gewisse Werte und Vorstellungen. Eine eigene Assistentin etwa oder gar Vorzimmer wären für uns nie in Frage gekommen. Wir wollten Nähe, kurze Wege und Transparenz – auch räumlich.
Je früher sich ein Unternehmen über seine Werte klar ist, umso einfacher ist es. Umgekehrt, wenn es zu viele unterschiedliche Wertvorstellungen gibt, wird es haarig. Ein Beispiel: Ein von uns ehemals finanziertes Start-up war innerlich zerrissen. Ein Teil der Gründer saß in Berlin, der andere in Hamburg. Die räumliche Trennung war problematisch, wäre aber nicht unlösbar gewesen. Entscheidend war, dass die beiden Gruppen sehr unterschiedliche Vorstellungen hatten, wie sie die Kunden ansprechen wollten: Berlin wollte es eher quick and dirty, nach dem Motto: Probieren geht über Studieren. Der Hamburg-Fraktion war das ein Gräuel. Die sagten: „Die Zielgruppe ist viel zu sensibel für Schnellschüsse!“ Letztlich zerbrach das Start-up an diesem Konflikt.
Ist es klug, die Werte eines Unternehmens aufzuschreiben? Absolut! Und je klarer das Mission Statement ausfällt, umso besser. In den 1980er Jahren gab Bill Gates für Microsoft die Losung aus: „A desktop on every table.“ Das ist eine klare, begeisternde Vision, an der sich Mitarbeiter orientieren können und die zugleich operativ genug unternehmerische Freiräume lässt.
Je klarer das Mission Statement ausfällt, umso besser.
3. Erfolgsfaktor: Delegiere Verantwortung, lasse Fehler zu
„Frage nicht um Erlaubnis, sondern bitte um Verzeihung.“ Das haben wir unseren Mitarbeitern bei Handy.de und Blau.de immer eingebläut, und wir finden das Motto immer noch super. Wir haben die Leute machen lassen und sie ermutigt, eigene Entscheidungen zu treffen. Wochenlange Entscheidungsfindungen sind Gift für Start-ups. Mitarbeiter und Unternehmen müssen gemeinsam wachsen können. Klar, dabei werden Fehler gemacht, aber aus denen lernt man. Wichtig nur: Denselben Fehler darf man nicht zweimal machen. Passiert das, muss man fragen, was da strukturell falsch läuft oder ob die Person die richtige für den Job ist. So oder so: Die Maxime „Triff eine Entscheidung!“ ist essentiell. Ein (junges) Unternehmen muss in Bewegung bleiben.
Je größer ein Unternehmen wird, umso schwieriger ist es für die Gründer, einen direkten Draht zu den Mitarbeitern zu pflegen. Sie sollten es aber trotzdem unbedingt tun! Regelmäßige kleinere und größere Meetings, Mittagessen, offene Bürotüren der Chefs auch für Praktikanten: All das sind Mosaiksteine, um die Kommunikation in der Firma lebendig und transparent zu halten. Vor allem in schwierigen Zeiten wird sich solch eine Kultur auszahlen.
Frage nicht um Erlaubnis, sondern bitte um Verzeihung.
4. Erfolgsfaktor: Bleibe flexibel und brich die Regeln
Wenn Gründer registrieren, dass sie mit ihrer ursprünglichen Geschäftsidee nicht weiterkommen, wenn es also gewissermaßen geradeaus nicht weitergeht, dann müssen sie nach links oder rechts ausscheren. Klingt banal? Ist es aber nicht. Nur mit einer großen Portion Urteilskraft, Kreativität und Mut schafft man es, den Kurs zu ändern. Den meisten mangelt es an mindestens einer der drei aufgezählten Eigenschaften. Und deshalb scheitern viele, wenn die Dinge nicht so laufen, wie sie erwartet haben.
Die am schwierigsten zu beantwortende Frage: Wie lange soll ich an meiner ursprünglichen Geschäftsidee festhalten, wenn sich der Erfolg nicht einstellt? Peter Thiel, der erfolgreiche US-Investor und einer der Gründer von Paypal, beantwortete das mal so: „Wenn Du an der Gepäckausgabe am Flughafen auf Deinen Koffer wartest und alle anderen Reisenden ihren Koffer bekommen haben, dann ist es o.k., noch ein bisschen länger zu warten – aber nicht stunden- oder tagelang!“
Mit Blau.de standen wir mal an einem solchen Gepäckband. Unser Ursprungsplan beinhaltete, Handy-Discountverträge online zu verkaufen. Wir hielten das für eine super Idee, nur leider funktionierte sie aus verschiedenen Gründen nicht. Als die Nachfrage und Umsätze ausblieben, entschieden wir uns für den denkbar radikalsten Kurswechsel und boten die Telefonkarten offline an den Kassen von Einzelhandels-Discountern an, obwohl das damals keiner unserer Wettbewerber machte. Leicht fiel uns der Schwenk nicht, denn wir hatten uns in die Idee eines modernen, eleganten Online-Vertriebs regelrecht verliebt. Letztlich rettete uns der neue Vertriebsweg und legte den Grundstein für den Erfolg von Blau.de.
5. Erfolgsfaktor: Monetarisiere schnell
Geld, Umsatz, Profit: Kein Start-up kommt ohne aus. Und je schneller sich finanzielle Erfolge einstellen, umso besser. Klar, jetzt sagen alle: „Und was ist mit Tesla, Twitter und Facebook, ihr Schlaumeier? Die brauchten ewig, um finanziell auf einen grünen Zweig zu kommen oder sie versuchen es noch immer!“ Wir sagen: In Europa und Deutschland ticken die Uhren anders als im Silicon Valley . Die Venture-Capital-Geber hier sind nicht so finanzierungsfreudig. Das war schon immer so. Je eher wir bei Handy.de und Blau.de Umsätze und auch Roherträge schrieben, umso klarer zeigten wir, dass die Produkte vom Markt angenommen werden und das Unternehmen profitabel arbeiten kann. Mit schneller Monetarisierung sind wir immer gut gefahren. Sie ist wie ein guter Motor und hilft enorm bei der zweiten oder dritten Finanzierungsrunde.
Mit schneller Monetarisierung sind wir immer gut gefahren.
6. Erfolgsfaktor: Bleibe offen
Neugierig, offen, hungrig und schnell im Kopf: Das ist die vielleicht größte Herausforderung für Unternehmer und Investoren ! Und, ganz ehrlich, je älter man wird, umso größer wird sie. Beispiel Snapchat: Wenn uns Gründer das als Idee vorgestellt hätten, hätten wir als Geldgeber gesagt: „Geht nach Hause!“ Jenseits der 40 wird es nicht leichter, echte, vielversprechende Innovationen als solche in der Frühphase zu erkennen und ihr Potenzial einzuschätzen.
Bei dem von uns mitfinanzierten Unternehmen Mediakraft, das YouTube-Channels vermarktet, war es ähnlich: Anfangs waren wir uns total unsicher, ob es etwas taugt. Damals hat Dirk seine Neffen gefragt und die kannten alle Stars von YouTube. Einige von denen waren wiederum bei Mediakraft. Da wurde uns klar, dass das eine große Sache werden könnte. Produkte und Zielgruppen zu verstehen ist das A und O – und wenn manchmal sogar die eigenen Neffen dazu beitragen können: umso besser. Nur keine Scheu!
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