Mario Pieper ist seit fast drei Jahren Chief Digital Officer des größten europäischen und weltweit zweitgrößten Hausgeräteherstellers BSH. Wir haben nachgefragt, wie es um die vernetzte Küche steht und vor welchen Herausforderungen der Manager und seine Mitarbeiter aktuell stehen.
Herr Pieper, Sie produzieren Kaffeemaschinen, Waschmaschinen und Backöfen, die eine Chatnachricht senden, sobald Espresso, Wäsche und Pizza fertig sind. Brauchen und wollen wir Konsumenten das wirklich?
Es gibt viele Konsumenten, die solche Funktionen schätzen. Für die jüngere Generation, die nach 1990 geboren wurde, entwickeln sich mitdenkende und kommunizierende Technologien zu einer Selbstverständlichkeit. Darauf reagiert BSH. Wir wollen möglichst nah am Kunden sein, und die Digitalisierung hilft uns dabei. Die Kommunikation mit Kunden verändert sich dramatisch. Wir versuchen, das nicht nur vorzudenken, sondern auch umzusetzen.
Eine zentrale Initiative von BSH heißt „Home Connect“. Was setzen Sie hier um?
BSH ist ein Unternehmen, das ganz klassisch als Original Equipment Manufacturer Produkte herstellt, die heute im Wesentlichen im Handel vertrieben werden. Durch den Einzug von Software in die Hausgeräte-Hardware ergeben sich neue Möglichkeiten der Vernetzung. Wir reden nicht länger von einzelnen, isolierten Geräten, sondern von miteinander verknüpften Geräten, die Daten empfangen und senden. Für BSH gehen mit der Digitalisierung erhebliche Veränderungen einher.
Welche sind das?
Ein Beispiel ist unsere Marktforschung. Digital vernetzte Hausgeräte können Daten über ihre Nutzung an BSH übermitteln – immer vorausgesetzt, der Kunde hat dem ausdrücklich zugestimmt. Wenn wir zum Beispiel wissen, wie oft die Tür eines Kühlschranks im Jahr tatsächlich geöffnet und geschlossen wird, können wir daraus Rückschlüsse auf den optimalen Materialmix der Tür ziehen. Wird sie von einem Großteil der Nutzer vielleicht nur 2.000 statt, wie angenommen, 7.000 Mal geöffnet? Wenn wir das wüssten, könnten wir gegebenenfalls anders fertigen. Oder nehmen Sie diese Frage: Wie oft wird eine bestimmte Funktion eines Ofens genutzt? Ist die wirklich so begehrt beim Kunden oder können wir im Extremfall sogar darauf verzichten und das Gerät so kostengünstiger und wettbewerbsfähiger produzieren?
Das Vertrauen unserer Kunden ist für uns das A und O.
Sind Ihre Kollegen aus der Produktentwicklung auch so begeistert? Oder winken die nicht oft ab: „Ach je, schon wieder eine dieser innovativen Ideen der Digital-Nerds!“
Genau darin sehe ich einen extrem wichtigen Teil unserer Arbeit: nicht von außen mit abstrusen Ideen zu kommen, sondern im Team mit den Kollegen aus anderen Abteilungen gute, schlagkräftige und organische Lösungen umzusetzen. Wir sind nicht eine Einheit am Rande der Organisation, sondern tief drin im operativen Geschäft. Unser langfristiges Ziel lautet, die Digitalisierung in alle Bereiche von BSH zu tragen, dort nachhaltig zu verankern und uns somit letztlich überflüssig zu machen.
Kommen wir auf die Kunden zurück. Ist die Skepsis gegenüber Hausgeräten, die das Nutzungsverhalten scannen, nicht sehr ausgeprägt? Immerhin gibt es inzwischen einige Negativbeispiele, die Sicherheitslücken belegen.
Aber nicht bei BSH. Wir stehen für Qualität und Sicherheit. Und ich bin zuversichtlich, dass wir das unseren Kunden überzeugend glaubhaft machen können. Wir machen alle Prozesse, bei denen es um Kundendaten oder die Zustimmung der Kunden für bestimmte digitale Services geht, sehr transparent. Übrigens nicht nur in Deutschland, sondern in allen Märkten. Das Vertrauen unserer Kunden ist für uns das A und O.
Der Markt für Smart-Home-Anwendungen ist ziemlich fragmentiert. Wie wollen Sie Home Connect zu einer großen Plattform machen?
Indem wir offen für Kooperationen sind, diese aktiv angehen und die technischen Hürden niedrig halten. Home Connect lässt unsere eigenen Geräte, Funktionen und Services sowie Inhalte zu, aber auch die von Partnerunternehmen, wie zum Beispiel die der Küchenwaage von Drop. Aus deren Rezepte-App können dann auch gleich die erforderlichen Backofeneinstellungen an unseren Bosch-Ofen gesendet werden.
Gut, eine Kooperation mit Bosch liegt für Sie ja quasi auf der Hand, weil BSH zu Bosch gehört. Wie aber steht es um andere große Akteure, Google etwa oder Amazon? Sind das Partner oder Konkurrenten?
Partner! Wichtige Partner sogar. Nehmen Sie das Thema Geschirrspültabs, die zum Beispiel Amazon mit ihrem Dash Replenishment Service automatisiert verschicken kann, wenn sich der aktuelle Vorrat des Kunden dem Ende zuneigt. Google Nest ist die am weitesten verbreitete Smart-Home-Lösung in den USA im Hochpreis-Segment. Sie passt hervorragend zu unseren Marken. Stellen Sie sich vor, Sie verlassen das Haus und das Thermostat schaltet sich ab. Das wäre dann auch eine hilfreiche Info für unsere Geräte: Kunde verlässt das Haus – prüfe, ob Herd und Kaffeemaschine ausgeschaltet sind. Um gute, nützliche Lösungen geht es, nicht um vermeintliche Killer-Applikationen.
Mehr Kooperationen für „Home Connect“ stehen auf unserer Agenda weit oben.
Inwiefern spielt die Datenregulierung in Deutschland beim Thema Partnerschaften eine Rolle? Könnten Sie weiter sein, wäre die Datenregulierung eine andere?
Eine globale Harmonisierung der Regulierung beim Thema „Datenschutz und Datensicherheit“ wäre mir natürlich lieber, aber es geht hier ja leider nicht nach dem Prinzip „Wünsch dir was“.
Mit wem würden Sie nicht kooperieren wollen?
Das heikle Thema sind natürlich immer die Wettbewerbsbedingungen. Was hilft uns in bestehenden Märkten und Segmenten? Und was könnte uns schaden? Das prüfen wir im Detail und entscheiden dann. Unsere Marke Gaggenau etwa ist im Segment der Luxus-Küchen sehr erfolgreich. Da würden Sie nicht mit einem Discount-Hersteller in einem anderen Bereich kooperieren, weil es der Marke schaden könnte.
Kooperationen sind unabdingbar, sie vergrößern aber auch den Kreis derjenigen, die etwas vom Kuchen abhaben wollen. Wem gehören die Kundendaten in dem Geflecht letztlich?
Jeder besitzt und behält die Kundendaten aus seinen bestehenden Kundenbeziehungen – so lautet das Grundprinzip. Man muss für sich als Unternehmen bestimmte Kontrollpunkte definieren und dann auch halten. Sicherheit und Kundendatenschutz sind immer Sache des Anbieters eines Services! Bei einem Schaden am Herd werden Sie nicht den Smart-Home-Anbieter kontaktieren, sondern den Herdhersteller. Derartige Grenzen müssen Sie als Unternehmen in einem Kooperationsverbund definieren. Wir würden zum Beispiel Geräte-Informationen auch nur auf ein „anonymes“ Objekt bezogen weitergeben, nie auf einen konkreten, identifizierbaren Kunden – es sei denn, der Kunde möchte dies.
Abschließend noch ein kurzer Ausblick: Was sind die größten Herausforderungen für Sie und Ihre Mitarbeiter in den kommenden drei Jahren?
Mehr Kooperationen für „Home Connect“ stehen auf unserer Agenda weit oben. Daneben müssen wir auch unsere digitalen Applikationen etwa im Bereich Digitales Marketing weiter konsequent ausrollen. Wir sind mit 14 verschiedenen Marken und einer dreistelligen Anzahl von Produkten aktiv, das ist eine unerhörte Komplexität. Zudem müssen wir „Digitale Helden und Talente“ finden und die interne Fort- und Weiterbildung ausbauen! Wir erleben einen tief greifenden Wandel der nötigen Kompetenzen, etwa vom Hard- zum Software-Ingenieur, vom Key Accounter zum eCommerce-Spezialisten oder vom Agentur-Steuerer zum Web-Analysten. Neue Aktivitätsfelder entstehen, und es ist Teil unseres Jobs, die Menschen in allen Abteilungen bei BSH mithilfe von Ideen, Informationen und Trainings dafür zu begeistern und auf dieser Reise mitzunehmen.
Bildcredits: istock/audioundwerbung