Dr. Roland Münch wandelt zwischen den Welten: Er war viele Jahre beim schwäbischen Maschinenbauer Voith für den Bereich Paper Automation und später für den Konzernbereich Hydro zuständig. Nun verantwortet er das Thema Digitalisierung. Ein Gespräch über altes Silodenken, die Zukunft von Papier in der digitalen Welt und eine konsequente Entscheidung.
Voith in Heidenheim ist ein Stück deutsche Wirtschaftsgeschichte. Genau gerechnet, währt die Geschichte des 1867 gegründeten Unternehmens sogar noch vier Jahre länger als die Deutschlands. Auf jeden Fall ist es ein typisches Beispiel dafür, wie Menschen mit Fleiß, Tüftler- und Erfindergeist in einer Werkstatt den Grundstein für einen später weltweit erfolgreichen Mittelständler legten.
Der Weg von Voith begann in einer kleinen Schlosserei – heute ist das Familienunternehmen einer der führenden Hersteller im Bereich Papiermaschinen, Antriebstechnik und Wasserkraft. 19.000 Mitarbeiter erwirtschafteten im vergangenen Jahr in über 60 Ländern der Erde fast 4,3 Milliarden Euro Umsatz. Gerade das Segment Papier steht aber auch für die Herausforderungen, denen sich der Maschinenbauer künftig stellen muss. Ist Papier doch zum Symbol für die „alte Welt“ geworden, die durch die digitale Revolution auszusterben droht. Zu Recht?
Wie überlebt man mit Maschinen zur Herstellung von Papier in der digitalen Welt, Herr Münch?
Vorsicht, die Papierindustrie befindet sich nicht auf dem absteigenden Ast! Zwar leiden grafische Papiere nach wie vor unter einer sinkenden Nachfrage, dafür sind Verpackungs-, Hygiene und Spezialpapiere aber auf dem Vormarsch. Die Nachfrage treibt ausgerechnet die Digitalisierung! Durch den blühenden Online-Handel müssen immer mehr Produkte verschickt werden – und dafür sind Kartonagen nötig.
Wir können nicht nur Daten erheben – wir verstehen diese Daten auch.
Okay, bleibt die Frage: Muss sich die Herstellung von Papier in der digitalen Welt verändern und können Sie das als klassisches Maschinenbauunternehmen?
Das ist längst im Gange. Der Anfang war die Vernetzung von Komponenten einer Maschine oder Anlage, künftig wollen wir auch die Maschinen miteinander kommunizieren lassen. Ein einfaches Beispiel sind Sensoren innerhalb der Maschine, die erkennen, ob die Papierbahn mit konstanter Qualität produziert wird. Neben der Hardware, den mehrere Hundert Meter langen Maschinen, entwickeln wir nun auch Softwarelösungen zur Visualisierung und Optimierung, mit denen unsere Kunden den gesamten Produktionsprozess überwachen und optimieren können, bis hin zu intelligenter präventiver Wartung.
Heutzutage dreht sich ja alles um digitale Transformation in jedem Industriebereich. Wie geht Voith als traditioneller Maschinenbauer damit um?
Wir haben uns zu einem großen und sehr konsequenten Schritt entschlossen. Wir bündeln unsere digitalen Anstrengungen. Anfang 2016 haben wir dafür einen neuen Geschäftsbereich gegründet: Voith Digital Solutions. Hier konzentrieren wir alle Automatisierungs- und IT-Ressourcen und entwickeln Lösungen für sämtliche Technologiebereiche von Voith. Das erhöht unsere Schlagkraft, da wir von internen Synergien profitieren und schneller mit neuen Technologien an den Markt gehen.
Muss man erst die Grenzen zwischen den traditionellen Geschäftsbereichen und den neuen Möglichkeiten durch digitale Technologien aufbrechen?
Wir bewegen uns in Märkten mit sehr ausgereiften Technologien. Dort können wir mit unseren Kunden nur wachsen, wenn wir gemeinsam den Trend zur Digitalisierung nutzen. Bei Voith Digital Solutions arbeiten wir einerseits ganz eng mit den Kollegen aus den anderen Geschäftsbereichen, andererseits aber auch direkt mit den Kunden zusammen, um optimal auf deren Anforderungen und Wünsche eingehen zu können.
Wie sieht so eine Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Disziplinen, Kulturen und Experten über Firmengrenzen hinweg in der Praxis aus?
Das alte Silodenken, in dem ausschließlich abteilungs-, funktions- oder regionsbezogen gedacht wurde, ist längst überholt und wäre ein Hemmschuh für moderne Entwicklungsprozesse. Wir denken in Projekten und stellen Fähigkeiten nach Projektbedarf individuell zusammen. Das gilt übrigens nicht nur für den neuen Konzernbereich. Es geht immer um das „große Ganze“. Wir müssen innerhalb von Voith, aber auch mit dem Kunden noch enger zusammenarbeiten – das heißt eine Partnerschaft etablieren, in der wir gemeinsam die Digitalisierung vorantreiben.
In agilen Entwicklungsprozessen über verschiedene Disziplinen und Regionen hinweg arbeiten wir beispielsweise von Anfang an zusammen mit unseren Kunden an neuen Lösungen. Diese kommen bereits als Pilotinstallationen nach kurzer Entwicklungszeit zum Einsatz. So entwickeln wir Hand in Hand neue, flexible Angebote, die auch exakt den Bedürfnissen der Kunden entsprechen und im Markt tatsächlich gebraucht werden.
Das alte Silodenken, in dem ausschließlich abteilungs-, funktions- oder regionsbezogen gedacht wurde, ist längst überholt.
Welche zukünftigen Entwicklungen erwarten Sie?
Unsere Vision ist die Entwicklung der virtuellen Maschine. Wenn wir heute eine neue Maschine auslegen, tun wir dies mit physikalischen Modellen und bestimmen alle Betriebszustände, die diese Maschine durchfahren kann. In der Zukunft simulieren wir dieses Verhalten mittels Computerprogrammen oder prüfen es auf dem Teststand. Dieses gesamte Know-how wollen wir als Maschinenmodell in die Cloud bringen und daran den realen Betrieb der physischen Maschine spiegeln. Dies ermöglicht dann zum Beispiel einen permanenten Soll-Ist-Vergleich in Echtzeit zwischen realer Maschine und dem digitalen Abbild in der Cloud.
Unsere Vision ist die Entwicklung der virtuellen Maschine.
Inwiefern stehen Sie heute schon in Konkurrenz zu den großen digitalen Playern wie Google, Apple und anderen?
Wenn man über Innovationen im Bereich der Digitalisierung nachdenkt, kommt man an Namen wie Google und Apple nicht vorbei. Unser wesentlicher Wettbewerbsvorteil gegenüber diesen neuen Playern im Industriemarkt ist aber, dass wir neben unserem Automatisierungs-Know-how und einer eigenen organisch gewachsenen IT-Gesellschaft auch über 150 Jahre ein enormes Prozesswissen in den Bereichen Papierherstellung, Wasserkraft und Antriebstechnik entwickelt haben. Wir können nicht nur Daten erheben – wir verstehen diese Daten auch, können sie visualisieren, analysieren und Vorhersagen treffen. Erst dieses „Gesamtpaket“ eröffnet unseren Kunden einen echten Mehrwert für die Digitalisierung.