Wenn Lkw dicht hintereinander fahren, spart das Sprit. Deshalb arbeiten Nutzfahrzeughersteller fieberhaft am sogenannten Platooning, das durch die Digitalisierung möglich wird. Damit das Konzept aber nicht nur technologisch funktioniert, sondern auch ökonomisch, muss die Transportbranche umdenken.
Den meisten Autofahrern dürften die zwei Lkw kaum aufgefallen sein, die auf der A9 zwischen Nürnberg und München unterwegs waren. Dabei bargen die weißen 40-Tonner, die da gemächlich und sehr dicht hintereinander fuhren, ein Geheimnis. Der Fahrer des zweiten Lkw hätte theoretisch die Hände vom Lenkrad nehmen können, denn sein Truck wurde von einer Art Autopilot gelenkt. Lkw-Platooning nennt sich dieses automatische Kolonnenfahren, vom englischen Begriff „Platoon“, der ursprünglich einen militärischen Zug beziehungsweise eine Einheit bezeichnet. Die zwei Lkw waren Teil eines Tests, den der Logistikkonzern Schenker zusammen mit dem Nutzfahrzeughersteller MAN Ende 2018 durchgeführt hat.
Der Versuch hat gezeigt, dass Platooning in der Praxis, also auf der Straße, funktioniert. Aber lohnt es sich auch wirklich? Einige Experten sagen dem Kolonnenfahren eine große Zukunft voraus, weil es Emissionen und Kosten spart und den Fahrer entlastet. Andere dagegen halten es für eine technologische Sackgasse, weil der Nutzen die Kosten angeblich eben nicht wettmacht. Diverse Szenarien sind denkbar und sie werden weltweit untersucht. Auf der Hand liegt unterdessen: Wer im Windschatten des Vordermanns bleibt, spart Kraft, das wissen nicht nur Tour-de-France-Teilnehmer. Bei Lkw ist das nicht anders. Und wenn man diese Erkenntnis modellhaft mit Zahlen hinterlegt, wird schnell das Potenziel der Technologie deutlich: Fahren die Brummis nicht mit 50 Metern, sondern nur mit 15 Metern Abstand, können sie bis zu 10 Prozent Kraftstoff einsparen. Der Effekt in puncto Ressourcen wäre gewaltig, schließlich verbraucht die weltweite Lkw-Flotte laut Internationaler Energieagentur jeden Tag 17 Millionen Barrel Öl . Dank Lkw-Platooning müssten 1,7 Millionen Fässer Öl weniger gefördert werden, diese Menge entspricht 4.660 Tankzügen pro Tag.
Das Umfeld ist technisch herausfordernd.
Ob derlei Rechnungen realistisch sind, wollten Schenker und MAN mit ihrem Feldversuch überprüfen. Zwei Serien-Lkw, ausgerüstet mit zusätzlicher Technik und Sensoren, wurden mehrmals täglich auf die Reise geschickt, um herauszufinden, ob Maschine (und Mensch) für die Kolonnenfahrt taugen. Noch ist das Team damit beschäftigt, die Daten von 35.000 Testkilometern auszuwerten, doch grundsätzlich zeigen die Daumen nach oben. „Die Technik hat reibungslos funktioniert“, sagt Dr. Chung Anh Tran, der das Projekt bei Schenker betreut.
Radar, Lidar und WLAN sorgen für Sicherheit
Auch die Zulieferer glauben an das Potenzial der Platooning-Technik. Continental zum Beispiel will noch in diesem Monat einen sogenannten Demonstrator vorstellen, ein technisches Gesamtpaket, das zusammen mit Knorr-Bremse entwickelt wurde und Lkw fit für Platooning macht. „Es handelt sich um ein technisch herausforderndes Umfeld“, sagt Jörg Lützner, Leiter Innovationsmanagement Nutzfahrzeuge bei Continentals Division Interior. Aufwendig ist Platooning vor allem wegen der hohen Sicherheitsanforderungen: Die Kolonnentrucks trennen bei Autobahntempo idealerweise weniger als eine Sekunde. Das ist ein Abstand, den ein Fahrer alleine nicht sicher beherrschen kann. Bremst der Pilotbrummi, müssen alle folgenden sofort reagieren. Umweltsensoren wie Radar oder Lidar (Laser-Abstandsmessung), eine ständige Funkverbindung (basierend auf WLAN) und redundante Systeme sorgen dafür, dass das sicher klappt – auch im unberechenbaren Realverkehr, wo sich leichtsinnige Autofahrer zwischen die Lastwagen quetschen können. In diesem Fall vergrößert das System den Abstand, bis der Fahrer übernehmen kann. Grundsätzlich sei die Technologie vorhanden, jetzt gelte es, sie im Praxistest weiter zu verbessern, so Jörg Lützner.
Intelligentes Lkw-Platooning im Cockpit (Bild: MAN)
Entscheidend für den Durchbruch von Platooning wird sein, dass sich die Hersteller auf ein System einigen. Sonst könnten sich nur Kolonnen der gleichen Marken zusammenfinden und viel Potenzial würde verschenkt. Das weiß auch die Branche und hat sich in einer EU-Initiative namens „Ensemble“ zusammengetan. Darin finden sich Hersteller von DAF bis Volvo sowie Zulieferer von Bosch bis ZF. Gemeinsam will man das sogenannte Multi-Brand-Platooning vorantreiben, in nur drei Jahren soll ein Testlauf auf europäischen Straßen realisiert werden. Gelingt das, rechnen Experten mit einer zügigen Verbreitung. „Wir gehen davon aus, dass sich Lkw-Platooning auf den Fernstraßen spätestens in den 2030er Jahren etabliert hat“, schätzt Dr. Chung Anh Tran von Schenker. Manche Experten stellen als Durchbruchsdatum sogar schon 2025 in Aussicht.
Es kostet – aber bringt es auch genug ein?
Wer mit dem Kolonnenfahren Geld verdient, ist noch nicht klar. Übernehmen die Nutzfahrzeughersteller selbst die Entwicklung der nötigen Hochtechnologien wie Lidar – oder überlassen sie das Thema den Zulieferern? Daimler hat diese strategische Frage für sich beantwortet und will in den kommenden Jahren 500 Millionen Euro in die Technologie hochautomatisierter Lkw investieren, Scania setzt ebenfalls auf ein eigenes System. Zulieferer wie Conti dagegen hoffen, dass andere Hersteller das komplexe und heikle Thema halbautomatisches Fahren lieber auslagern. Ob sich „make“ oder „buy“ durchsetzt, muss die Zeit zeigen.
Jede Auflösung des Lkw-Platoons schmälert die Einsparung.
Bezahlen müssen die Technik in jedem Fall die Fuhrunternehmer. Rund 23.000 Euro mehr wird ein selbstfahrender Truck kosten, der fit fürs Platooning ist, schätzen Experten. Angenommen, das Fahrzeug läuft 100.000 Kilometer pro Jahr und verbraucht 30 Liter pro 100 Kilometer, müsste die Spedition dank Platooning 2.922 Euro pro Jahr weniger für Diesel ausgeben (berechnet nach heutigen Kraftstoffpreisen). Die Mehrausgaben für die Technik wären also nach ungefähr acht Jahren wieder eingespielt.
Fahrzeugkommunikation beim Lkw-Platooning von MAN (Bild: MAN)
Eine große Frage schwebt jedoch über allem: Wie viel Diesel lässt sich durch das Windschattenfahren wirklich sparen? Liegt der Wert tatsächlich im zweistelligen Prozentbereich, wie es die Simulationen vorhersagen? Bei Schenker und MAN will man noch die Auswertung der Daten abwarten, klingt aber zwischen den Zeilen schon positiv. Ebenso bei Continental. „Wir sind zuversichtlich, dass sich Abstände von weniger als einer Sekunde erreichen lassen. Damit sollten die Einsparungen realisierbar sein“, sagt Innovationsmanager Jörg Lützner.
Disziplin ist alles
Theoretisch stehen die Zeichen also auf Grün für die Technologie. Wenn da nicht Daimler wäre. Kurz vor dem Jahreswechsel ist der Konzern nämlich überraschend auf die Bremse gestiegen. Platooning-Tests in den USA hätten ergeben, „dass die Einsparungen selbst unter idealen Bedingungen geringer ausfallen als erhofft“, so ein Manager. Es gebe keinen Business Case auf der Langstrecke, nicht einmal auf den lasergeraden, leeren Überland-Highways in den Staaten. Diese Ankündigung überraschte viele und sorgte für Zweifel. Wenn der europäische Lkw-Marktführer Platooning aufgibt, könnte die vermeintliche Zukunftstechnologie vielleicht keine sein.
Zumindest angeschlagen ist sie. Daimler hat den Finger gezielt in die Wunde gelegt: Der Nutzen von Platooning hängt von sehr vielen „Wenns“ ab. Das Kolonnenfahren spart vor allem dann Kraftstoff, wenn die Lkw ungestört wie Eisenbahnen über den Asphalt rollen. „Jede Auflösung des Platoons schmälert die Einsparung“, erklärt Sebastian Völl, Projektleiter Automatisiertes Fahren bei MAN Truck & Bus, München. Muss ein Folgefahrzeug bremsen, etwa weil sich ein Auto in den Konvoi hineinmogelt, bricht die Perlenkette auseinander und muss durch manuelles Bremsen und Beschleunigen wieder hergestellt werden. Das kostet Sprit. Und solche Manöver dürften gerade auf vollen europäischen Autobahnen häufig nötig sein. Dazu kommen hier noch viele Auffahrten und Autobahnkreuze, an denen man vom Gas gehen muss – ebenfalls Gift für das perfekte Platoon. Deshalb planen die Hersteller vorsichtig. „In Mitteleuropa favorisieren wir Zweier-Platoons“, so Völl, „in Skandinavien wären auch drei oder vier Fahrzeuge denkbar“.
Platooning bedarf eines vertrauenswürdigen Mittlers.
Ein weiterer Bremsfaktor könnte der Gesetzgeber sein. MAN und Schenker brauchten eine Ausnahmegenehmigung, um ihre Trucks testweise in 15-Meter-Abstand fahren lassen zu können; 50 Meter sind und bleiben vorgeschrieben. Dieses Gesetz müsste geändert werden, wie viele andere auch. Vor allem Haftungsfragen gilt es noch zu klären. Was passiert zum Beispiel, wenn der Pilotfahrer einen Unfall verursacht – oder mit überhöhtem Tempo geknipst wird? Viel Arbeit für die Verkehrsminister, die nicht gerade für übertrieben schnelles Handeln bekannt sind.
Werden sich alle Akteure gegenseitig vertrauen?
Doch die größte Hürde für Lkw-Platooning könnte auf der Seite der Anwender liegen, bei den Fuhrunternehmen. Sie müssen nämlich umdenken, wenn sie die Vorteile der Technik ausschöpfen wollen. Platooning ist nichts, was jeder für sich allein machen kann. Die Technik ist nur sinnvoll, wenn sich die Fahrzeuge der verschiedenen Speditionen und Logistikkonzerne schnell und unkompliziert zusammenschließen können. Dafür braucht es jedoch eine Plattform, über die die Marktteilnehmer spontan Verbände zusammenstellen können. Die niederländische IT-Firma Ortec etwa hat schon ein Programm entwickelt, das diese automatische Partnerzuteilung übernimmt. Eine solche „Windschattenbörse“ zu nutzen, könnte für Speditionen allerdings heikel sein, schließlich müssten sie Daten offenlegen, die auch für Wettbewerber interessant sind: Routen und Abfahrtszeiten. „Daher bedarf spontanes Platooning eines vertrauenswürdigen Mittlers und einer Anonymisierung aller Daten“, bestätigt Continental-Experte Lützner.
Diese digitale Drehscheibe müsste zugleich dafür sorgen, dass die Einsparungen gleichmäßig verteilt werden und so für alle ein Anreiz entsteht, mitzumachen. Wer im Windschatten fährt, profitiert schließlich auf Kosten des Vordermanns. Dieser Nutzen müsste über Ausgleichszahlungen an alle Beteiligten verteilt werden. Aber wer betreibt diese zentrale Platooning-Plattform? Und werden die Player in der Transportbranche, wo man mit harten Bandagen um kleinste Margen kämpft, hier gemeinsame Sache machen? Wie so oft bei digitalen Transformationsprozessen liegt die Tücke weniger in der Hard-, sondern eher in der biologischen Software: dem Menschen. Nicht Funkstandards werden über die Zukunft des Lkw-Platooning entscheiden, sondern das Vertrauen zwischen den Spediteuren.
Auch Zulieferer Continental will mit Lkw-Platooning sparen (Bild: Continental)
Interessanterweise haben die Nutzfahrzeughersteller und Zulieferer den Ausstieg von Daimler relativ gelassen hingenommen. Das liegt einerseits daran, dass die Stuttgarter in Gremien wie „Ensemble“ weiterhin ihren versprochenen Beitrag leisten und in die Technologie des automatisierten Lkw-Fahrens investieren. Entscheidender dürfte jedoch sein, dass die Nutzfahrzeughersteller quasi einen Plan B haben. Sie wissen, dass die Entwicklungsarbeit nicht umsonst war, selbst wenn die Operation Konvoi ausfällt. „Wir sehen Platooning als wichtigen Schritt zum autonomen Fahren“, erklärt Schenker-Manager Tran.
Tatsächlich sind alle Lkw, die automatisch hinter einem Anführer herfahren, schon semi-autonom. Sie müssen sich zwar nicht selbst im Verkehr zurechtfinden, überholen oder die Spur wechseln, aber sie können schon selbstständig lenken, Gas und Bremse kontrollieren. Die dafür nötigen Systeme perfektionieren die Hersteller gerade. Heute stecken sie in Platooning-Prototypen, morgen vielleicht schon im komplett autonomen Robo-Truck. Insofern fährt die Nutzfahrzeugbranche tatsächlich Kolonne in die fernere Zukunft – mit oder ohne Platooning.
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Beitragsbild: Scania
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