Digitale Assistenten wie Alexa oder Siri erledigen im Alltag allerlei Dinge auf Zuruf. Auch in der Werkshalle oder im Management-Meeting werden wir bald mit Maschinen sprechen. Sie werden uns immer häufiger sagen, was wir tun sollen.
Am Samstagmorgen Handzettel aus dem Briefkasten fischen – das müssen Kunden des HIT-Marktes Sütterlin in Aachen nicht mehr. Zumindest nicht, wenn sie eine digitale Assistentin von Amazon besitzen. Dann können sie das Gerät einfach fragen: „Alexa, was ist diese Woche im Angebot?“, und bekommen die aktuellen Schnäppchen des Supermarkts vorgelesen.
Schwarz, rund und halb so hoch wie eine Getränkedose – so sieht Alexa in der neuesten Generation aus. Das Gerät liest Sonderangebote vor, weiß, wie das Wetter wird, und spielt auf Kommando die neueste Single von Ed Sheeran ab. Als Amazon es vor zwei Jahren vorstellte, lästerten viele IT-Profis: Überflüssig, braucht kein Mensch. Mittlerweile sind die Kritiker verstummt, denn Amazons Erledigungsmaschine ist anscheinend sehr erfolgreich. Über acht Millionen Amerikaner haben sich die digitale Assistentin in ihr Heim gestellt, in Deutschland entwickelt sich das Geschäft ebenfalls gut, heißt es aus dem Unternehmen.
Weg von Schlagworten – hin zu einer menschlichen Sprache im Internet.
Am Anfang war das Wort. In Zukunft wird das auch so sein, und nicht nur im Handel. In immer mehr Arbeitsbereichen wird die Steuerung per Stimme zum Normalfall, von der Werkshalle, in der Maschinen befragt und gesteuert werden, bis hin zum Management-Meeting, in dem Kennzahlen analysiert werden. Das spart Zeit, ist praktisch und kommt uns als sprechenden Wesen enorm entgegen. Unterschwellig revolutionieren die dienstbaren digitalen Geister dabei nicht nur die Art, wie wir einkaufen, handeln, elektrische Geräte bedienen oder Geschäfte machen. Es geht eben nicht nur um Sprachsteuerung, sondern auch um eine neue Form der maschinellen Intelligenz, die irgendwann in der Zukunft in der Lage sein wird, immer größere Teile unserer Welt autonom zu steuern.
Alexa und Co sind die Vorhut – die allerdings bereits für einige Branchen sehr hilfreich ist. Für Hausgerätehersteller etwa: Jahrelang versuchten diese, den Konsumenten die Vision vom „Smart Home“, vom intelligenten Haus also, schmackhaft zu machen. Ohne Erfolg. Für viele klang das nach Technik-Overkill und Absturzwarnungen vom Kühlschrank. Doch auf einmal explodiert der Markt förmlich. Laut einer Studie der Marktforscher von Gartner steigen die Umsätze mit Heimautomation bis 2020 auf das Fünffache. Dank Alexa? Ja, denn digitale Assistenten, deren Sprachverständnis sich in den vergangenen Jahren stark verbessert hat, tragen offensichtlich zu einer größeren Akzeptanz von smarten Heimsystemen bei.
Wo drückt der Schuh, Triebwerk?
Alexa ist nicht alleine. Ihre Schwester bei Apple heißt Siri, Google nennt sein Auskunftsgerät schlichtweg Assistant und Microsoft hat seine digitale Assistentin Cortana getauft. Viele nutzen die Produkte auch als Suchmaschine. Und von der wollen alle gefunden werden. Deshalb wird es bald „Voice first“ im Marketing heißen: Das Angebot muss für digitale Assistenten verständlich gemacht werden. „Wir müssen weg von Schlagworten und Phrasen, hin zu einer menschlichen Sprache im Internet“, erklärt Robert C. Mendez vom Medienprojekt „Internet of Voice“ aus Köln. Einige Webdesigner setzen das schon um. Sie sorgen dafür, dass im Text ihrer Seiten möglichst viele Fragen vorkommen, die Nutzer stellen könnten, also zum Beispiel: „Was kostet ein Flug von Frankfurt nach London?“ Denn genau das mögen die Sprachsuchsysteme. Zum Vergleich: Bisher versuchten die Webseiten, möglichst viele Suchworte wie „Flug“, „Frankfurt“ und „London“ unterzubringen.
Digitale Assistenten melden Störungen via Tablet (Bild: iStock.com/yoh4nn)
Wie praktisch es ist, wenn Mensch und Maschine einfacher miteinander reden können, entdecken zunehmend auch Industrieunternehmen. General Electric (GE) etwa hat unlängst angekündigt, seine Produkte mit Sprachsteuerung auszustatten , vom Flugzeugtriebwerk bis zur Kraftwerksturbine. Anfang 2019 sollen die ersten Anlagen mit der Funktion beim Kunden ankommen. Der Techniker wird dann mit der Maschine sprechen wie mit einem Kollegen. Will er zum Beispiel wissen, welches Teil eines Triebwerks gewartet werden muss, kann er einfach fragen. Befehle eingeben, Knöpfe drücken, Anzeigen ablesen – bald zunehmend überflüssig.
Künstliche Intelligenz könnte helfen, Entscheidungen zu stützen – oder Menschen zu widersprechen.
Das dürfte für mehr Tempo sorgen. Heute kostet die Wartung eines Flugzeugtriebwerks 80 bis 100 Tage; dank Anleitung durch den virtuellen Assistenten sollen es bald 10 bis 15 Tage weniger sein, sagt GE. Das System kann sogar vor Ausfällen warnen, die noch gar nicht passiert sind. Dann heißt es zum Beispiel: „Achtung: Teil X fällt mit großer Wahrscheinlichkeit in zwei Monaten aus. Bitte tauschen sie es jetzt aus.“
Im Prinzip ist es für Unternehmen ganz leicht, ihr Produkt mit einem digitalen Ansprechpartner zu versehen. Amazon hilft gerne und vermarktet das Wissen über Mikrofonplatzierung und Spracherkennung seit Anfang des Jahres aktiv. Vor allem Autohersteller haben schon zugeschlagen. Besitzer eines neuen Fords können seit Kurzem fragen: „Alexa, wie viel Sprit ist noch im Tank?“ oder „Wo ist das nächste Café?“ Volkswagen und Volvo wollen die Dame ebenfalls an Bord holen. Bis der erste Investitionsgüterhersteller mit „Alexa inside“ wirbt, kann es wohl nur noch eine Frage der Zeit sein.
Digitaler Zuchtmeister
Dabei wird die digitale Assistentin wohl nicht nur im Blaumann, sondern auch im Businesskostüm auflaufen. „Es wäre naheliegend, digitale Assistenten für Sekretariatsfunktionen zu nutzen“, sagt Klaas Bollhoefer, Chefwissenschaftler beim Berliner Unternehmen The unbelievable Machine Company. Ein Diktat aufnehmen oder einen Termin in den Kalender eintragen, könnte Alexa schon mit ihren heutigen Fähigkeiten. Doch Bollhoefer, ein führender deutscher Experte zum Thema künstliche Intelligenz, denkt schon weiter. In eine Zukunft, wenn Spracherkennung mit künstlichem Köpfchen verknüpft wird. „Dann könnte der Mitarbeiter einfach fragen ‚Warum sind die Quartalszahlen schlechter geworden’?“
Von da an wäre es kein weiter Weg mehr zu Alexa, der virtuellen Top-Managerin, die bei jeder Vorstandssitzung mit am Tisch sitzt. „Die künstliche Intelligenz könnte dabei helfen, Entscheidungen der Menschen zu stützen – oder ihnen auch zu widersprechen“, stellt sich Bollhoefer vor. Beim US-Unternehmen Salesforce ist das schon Alltag: Ein Programm namens Einstein Guidance nimmt hier an den Meetings des Top-Managements teil und gibt auf Zuruf seine Einschätzung zu den besprochenen Zahlen ab. Meldet ein Manager aus seinem Bereich schwache Leistung, kann es sein, dass Einstein eiskalt empfiehlt, ihm in der Zukunft mehr „spezifische Aufmerksamkeit“ zu schenken, gab Salesforce-Chef Marc Benioff unlängst zu Protokoll. Das sei in den letzten drei Quartalen schon vorgekommen.
Programme beraten schon heute Manager (Bild: iStock.com/FangXiaNuo)
Wann werden Alexa & Co. schlau?
Dahinter steckt natürlich viel Marketing, schließlich verkauft Salesforce selbst die Einstein-Software. Dabei lassen Evangelisten wie Benioff meist unter den Tisch fallen, dass es derzeit noch einige gute Gründe gegen digitale Assistenten im B2B-Umfeld gibt. Die mangelnde Sicherheit zum Beispiel. Alexa, aber auch der Wartungsassistent von GE sind im Prinzip nur Mikrofone, die Sprache aufzeichnen und über das Internet verschicken. Die Antworten liefert ein Rechner, der in einer Serverfarm am anderen Ende der Welt steht. Solche Cloud-Dienste sind immer heikel, schließlich werden dabei sensible Unternehmensdaten durchs angreifbare, öffentliche Internet geschickt.
Von einem echtem Dialog ist man weit entfernt.
Das öffnet Industriespionage Tür und Tor. Und welches Unternehmen würde nicht gerne wissen, mit welchem Auslastungsgrad die Maschinen beim Wettbewerber gerade laufen? Hinzu kommt ein Ausfallrisiko, das private Alexa-Nutzer zur Genüge kennen: Streikt das WLAN, bleibt auch die Assistentin stumm. Im privaten Umfeld mag das noch zu verschmerzen sein, aber was ist, wenn die Kraftwerksturbine plötzlich stillsteht und der digitale Wartungsassistent dazu schweigt?
Und besonders schlau sind die digitalen Assistenten auch noch nicht. „Von einem echtem Dialog ist man weit entfernt“, findet Medienexperte Mendez. Amazon weiß das. Deshalb lässt der Gigant in seinen schicken Werbevideos nur Nutzer auftreten, die Kasernenhofbefehle erteilen. „Alexa, stell die Eieruhr ein“, „Alexa, mach die Musik lauter“, heißt es dann. „Momentan muss der Mensch noch wie eine Maschine sprechen, um verstanden zu werden“, sagt Mendez.
Streikt das WLAN, schweigt der Assistent (Bild: iStock.com/deepblue4you)
Wenn er überhaupt vernünftig kommunizieren kann. Das ist nämlich nicht selbstverständlich. Wie begriffsstutzig das kleine schwarze Gerät ist, können IT-Profis bezeugen, die für Alexa Software entwickeln. Sie haben Einblick in die Gesprächsprotokolle. „Da fallen eine Menge Schimpfworte“, deutet Informatiker Mendez an. Besonders oft platzt den Nutzern der Kragen, weil ihre Assistentin begriffsstutzig ist oder einfach nicht reagiert. „Alexa, was ist denn jetzt?“, gehört zu den häufigen Anfragen. Deshalb rät Experte Mendez auch zu Geduld. „Es wird noch zwei bis drei Jahre dauern, bis die Technik smart genug für den Einsatz in der Industrie ist.“
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